An die Asylkritiker_innen

Blogeintrag vom Aescher SP Gemeindekommissionsmitglied Sibylle Probst vom 23. August 2015
Mit freundlicher Erlaubnis zum Posten auf meiner Webseite.

Liebe Asylkritikerin
Lieber Asylkritiker

Du nervst mich.
Damit es zwischen uns keine Missverständnisse gibt, erkläre ich dir nun, warum du das tust.
Um eins vorweg zu nehmen, du nervst mich nicht, weil wir primär anderer Meinung sind. Damit kann ich gut leben. Du nervst mich auch nicht, weil ich finde, dass du rechtsradikal bist, denn das sind die wenigsten von euch. Nein, du nervst mich, weil ich mir in 99% der Fälle mit denen ich mit Deinesgleichen Diskussionen über Asylsuchende geführt habe, irgendwelche Un- bzw. Halbwahrheiten anhören musste. Dabei frage ich mich immer, wieso du deine Hirnzellen nicht arbeiten lässt? Du wirfst den Asylsuchenden oftmals Faulheit vor, aber kennst du dich mit dem Arbeitsverbot aus, das je nach Kanton zwischen drei und sechs Monate dauert? Ja, urteilen und Dinge nachplappern, die der Freund eines Freundes, dessen Tante die Nachbarin einer Frau ist, die bla bla bla. gesagt hat, ist einfach und bequem. Dann frage ich mich immer, ob du dir überhaupt die Mühe machst, um deine Quelle zu überprüfen. Diese Frage ist eigentlich total überflüssig, denn die Antwort kenne ich bereits, seit du das erste mal „Scheinasylant“ gesagt hast.

Da ich sehr gut im Hellsehen bin, weiss ich, dass du mir gleich starke Ausdrücke, wie „Gutmensch“, „Schweizer Traditionszerstörerin“, „linke Sauzecke“ oder gar „Landesverräterin“ an den Kopf wirfst. Du echauffierst dich, weil es vorwiegend junge Männer sind, die hierher kommen und ihre Frauen, Mütter, Schwestern und Kinder im Krisengebiet zurücklassen. Natürlich würdest du gegen kleine Kinder keine Vorbehalte haben.

Lass uns an dieser Stelle ein Gedankenspiel versuchen. Stell dir vor, du bist der 19-jährige Sohn einer syrischen Familie, die vor dem Krieg ein annehmbares Leben geführt hat. Du bist mitten im Studium und völlig zufrieden mit deinem Leben. Als der Krieg ausgebrochen ist, bist du mit deiner Familie in einer wochenlangen Reise, unter ständiger Todesangst und Hunger, mühsam in den Libanon geflohen. Ihr lebt nun in einem riesigen Massenflüchtlingslager. Deinen jüngeren Geschwistern geht es nicht gut, sie können nicht zur Schule und du weisst nicht, wie lange ihr hier bleiben müsst. Dir ist klar, dass du in den nächsten Jahren nicht zurück nach Syrien kannst. Was also tust du?

Jetzt wirst du sagen, dass du gegen „echte“ Flüchtlinge nichts hast. Dich nerven „Wirtschaftsflüchtlinge“. Wenn ich dir nun zwei Männer vorstelle, der eine ist der oben beschriebene junge Mann und der andere ist irgend ein anderer ausländisch aussehender Schweizer, könntest du sie dann unterscheiden? Die Antwort ist nein. Und das weisst du auch. Du kannst Schweizer, „echte“ Flüchtlinge und „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht unterscheiden. Was ich dir damit aufzeigen will, ist, dass du nicht korrekt antworten kannst, weil du die Geschichten dieser Menschen nicht kennst.
Nur so am Rande: Bekannte Wirtschaftsflüchtlinge sind u.a. Gérard Depardieu und auch jene, die durch eine niedrige Besteuerung in die Schweiz gelockt werden.

Durch wochenlanges und aufmerksames Lesen unzähliger Kommentare diverser Schweizer Onlineportale, bin ich zum Schluss gekommen, dass der „Worst-Case-Flüchtling“ schwarz, zwischen 25-30 Jahre alt und Muslim ist. Ebenfalls hat er eine Familie und besitzt ein Smartphone. Et voilà, der Asylanten-Super-GAU ist perfekt.
Beim Lesen solcher hasserfüllten Kommentare frage ich mich, ob du denn ein Bilderbuch-Schweizer bist. Du wirst sagen, dass du Schweizer Traditionen hoch hälst und regelmässig deine Steuern bezahlst. Erwerbstätige Asylbewerber zahlen übrigens auch Steuern, sowie Beiträge an die AHV/IV und die Arbeitslosenversicherung. Hast du das gewusst? Wahrscheinlich nicht.
Im Weiteren frage ich mich, ob du die Geschichte von Henry Dunant oder Johann Pestalozzi kennst. Hast du dich schon mal gefragt, wieso die Flagge des Roten Kreuzes rot ist? Humanität ist ein urschweizerischer Wert. Folglich fühle ich mich berechtigt, dich – den Superschweizer – nach deinen humanitären Taten zu fragen.

Du nervst mich, weil du dir eine Meinung gebildet hast, ohne dir die Gegenseite anzuhören, und ohne Überprüfung der Fakten. Du nervst mich, weil du ignorant und besserwisserisch bist und du nervst mich, weil du keinerlei Empathie besitzt.
Da du in 99% der Fälle noch nie mit einem Asylsuchenden in persönlichen Kontakt getreten bist, finde ich es mehr als angebracht, wenn du mit mir zusammen in eine Asylunterkunft kommst und persönlich das Gespräch suchst.

Wir sind alles Menschen mit einer Geschichte, hör dir ihre an und erzähle deine.

Liebe Grüsse

Sibylle

Quellenangabe: admin.ch, Aargauer Zeitung, 20 Minuten, watson.ch, Tagesschau, Rotes Kreuz, gesunder Menschenverstand

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