Eine durchschaubare Blockade der Auto-Lobby

Gastkommentar in der BaZ vom 07. Januar 2023

Seit einigen Wochen geistert ein FDP-Vorstoss durch die Medien – aus der Feder des regionalen Auto-Club-Chefs. Die freisinnige Autolobby fordert darin, eine zusätzliche Hürde für die Einführung von Tempo 30 auf Baselbieter Kantonsstrassen zu installieren – und schiebt dafür die Demokratie vor. Dies klingt durchaus verfänglich.

Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest: Die Autolobby unternimmt lediglich einen durchschaubaren Versuch, Tempo 30 im Baselbiet weitere Steine in den Weg zu legen. Dafür wertet sie sogar das gebräuchliche und demokratische Vorgehen ab. Darin stellt nämlich der demokratisch gewählte Gemeinderat an die kantonale Verwaltung einen Antrag für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h auf dem Abschnitt der Kantonsstrasse im Dorfkern. Der Kanton beurteilt dann, ob dies zielführend ist. Die Kriterien hierzu sind klar festgelegt: Tempo 30 soll für mehr Sicherheit und weniger Strassenlärm sorgen und wird nur in Gemeinden bewilligt, die bereits über Tempo 30 Zonen verfügen. Sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit dem Vorgehen des Gemeinderats nicht einverstanden, können sie an der Gemeindeversammlung einen Antrag gegen Tempo 30 auf der Kantonsstrasse stellen. Zudem: Ein Gemeinderat kann den Entscheid bereits heute vor die Gemeindeversammlung bringen. In den letzten Monaten haben das bereits mehrere Gemeinden gemacht: Beispielsweise Maisprach und Sissach stimmten Anträgen des Gemeinderats oder von Einwohnerinnen und Einwohnern jeweils klar zu. 

Wir halten also fest: Entgegen geschürten Ängsten gibt bereits heute kein Tempo 30 gegen den Willen einer Gemeinde. Diese werden beim Bau einer Kantonsstrasse immer angehört. Aber viele Gemeinden wollen Tempo 30, haben seit Jahren darauf gedrängt und möchten jetzt endlich ein attraktives und lebenswertes Zentrum – das ist die demokratische Realität. Tempo 30 innerorts bringt nämlich viele Vorteile und das bei geringen Kosten: So sorgt Tempo 30 für mehr Sicherheit. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU kann mit Tempo 30 mindestens jeder dritte Unfall und jährlich über 25 Tote vermieden werden. Jährlich wären das schweizweit rund 900 Personen, die nicht ihr Leben lang durch die Folgen des Unfalls gezeichnet wären. 

Es ist nachvollziehbar, dass der Autolobby diese Entwicklung hin zu verkehrsberuhigter Lebensqualität missfällt. Das ist allerdings kein Grund, die Organisation des Staates umzukrempeln und die Verfassung zu ändern. Besonders irritierend ist dabei: Mit der Umsetzung dieses Vorstosses würde einzig die Antragskompetenz vom Gemeinderat an die Gemeindeversammlung verlagert. Der Kanton entscheidet weiterhin über Velostreifen, Anzahl Parkplätze, Gestaltung der Strasse. Da ihm die Strasse gehört, ist er auch verantwortlich für Planung, Bau, Betrieb und die daraus entstehenden Folgen wie Lärm. 

Dass sich die Autolobby in eine Opferrolle begibt und eine Gängelung der Autofahrer durch die rot-grünen Regierungsmitglieder herbeizeichnet, ist so realitätsfremd wie erheiternd. Hat die freisinnige Autolobby denn vergessen, dass die Regierung bürgerlich dominiert ist und das Vorgehen vom Gesamtregierungsrat abgesegnet wurde?

Es lässt sich also zusammenfassen: Die freisinnige Autolobby-Ideologie stellt sich grundsätzlich gegen Tempo 30. Sie missachtet dabei Erkenntnisse zur Lebensqualität und Sicherheit von Menschen. Der Vorstoss ist ein letzter, kläglicher Versuch, Tempo 30 zu blockieren. Doch sie hat nicht verstanden: Die Bevölkerung möchte gemäss Untersuchungen längst Ortsdurchfahrten, welche zum Flanieren einladen. Dazu gehören attraktive Aufwertungen der Ortskerne und eben auch eine Höchstgeschwindigkeit von 30, denn seien wir ehrlich: Viel schneller kommt man heute sowieso nicht durch die Baselbieter Dörfer und Gemeinden. Und das ist auch gut so. 

Jan Kirchmayr, Landrat und Vizefraktionspräsident SP Baselland, Aesch